Digitale Originale – Der ORÖ Blog

Content Creation – It's a jungle out there...

Geschrieben von Ralf Koyro | Nov 25, 2022 8:56:08 AM

Von älteren Generationen vermutlich weitgehend unbemerkt, bahnt sich auf YouTube ein junges Broadcast-Format seinen Weg und belegt eindrucksvoll, warum das lineare Fernsehen längst zum Auslaufmodell verkommen ist. Und warum sich Content Creation zu einem neuen Betätigungsfeld mit gigantischem Potential entwickeln wird.
Die Rede hier ist von „7 vs. wild“, einer Robinsonade, bei der 7 Teilnehmer mit bis zu 7 Gegenständen insgesamt 7 Nächte allein in der Wildnis verbringen müssen. Ihre Erlebnisse und Erfahrungen teilen sie in dieser Zeit ausschließlich mit einem kleinen Set GoPros. Initiator und zentraler Impulsgeber dieses Formats ist der 1989 geborene Magdeburger Fritz Meinecke, der vor einigen Jahren – als praktischen Ausgleich zum Bürojob – das Outdoor- und Survival-Umfeld für sich kennen und lieben lernte. Als passionierter Fotograf entwickelte er zudem schnell ein Gespür für „gute Bilder“ seiner Ausflüge in die Natur und mit den „lost places“ auch ein Format, das ihm eine wachsende Community bei YouTube, Twitch und Instagram bescherte. Das klassische TV wurde alsbald auf Meinecke aufmerksam und versuchte ihn als Protagonisten für ein Outdoor-Format zu gewinnen, dass bereits erste Züge von „7 vs. wild“ aufwies. In Abstimmung mit seiner kleinen Crew entschied sich Meinecke jedoch relativ schnell gegen diesen „Deal“, weil das Team Abhängigkeiten und Einschnitte in der künstlerischen Freiheit befürchtete.

Schon diese doch eher ungewöhnliche Entscheidung lässt aufhorchen, weil sie so gar nicht dem Stereotyp entspricht, den sich insbesondere der Mainstream von „diesen Influencern“ und der tatsächlichen Bedeutung von YouTube unreflektiert „zusammenschustert“. Denn Meinecke „betreibt“ keinen YouTube-Kanal, vielmehr ist er ein Broadcast-Anbieter und entwickelt als Content Creator eigene Bewegtbild-Formate, die er erfolgreich vermarktet. Über Werbung, Sponsoren, Product-Placement und Merchandising. Und er bleibt dabei uneingeschränkt Herr über die gesamte Produktion seiner Formate, die sich in Staffel 2 von „7 vs. wild“, – inkl. der Miete von Insel und Helikoptern, einem Produktionsteam sowie einer aufwändigen Postproduktion – mindestens in einem mittleren sechsstelligen Bereich bewegen dürfte.

Die Episoden der ersten Staffel von „7 vs. wild“, die im November 2021 in Schweden abgedreht wurde, erreichten bis heute mehr als 77 Millionen Abrufe und etwa durchschnittlich 6 Millionen Aufrufe pro Folge. Die aktuell laufende Ausgabe, die auf einer tropischen Pazifik-Insel vor den Toren Panamas angesiedelt ist, kommt gegenwärtig auf rund 8 Millionen Aufrufe pro Folge. „7 vs. wild“ ist damit auf YouTube das erfolgreichste Content Creator Format Europas.


Nun ließe sich einwenden, dass sich das Format prinzipiell ja gar nicht so sehr von klassischem Fernsehen unterscheidet und man dort sicher auch schon heute einige Formate findet, die auf einem ähnlichen Storytelling aufsetzen und – etwa als Doku-Soap – ggf. auch vergleichbare Protagonisten besetzen. Doch diese Folgerung zielt am Kern des Themas vorbei. Tatsächlich werden Formate wie „7 vs. wild“ in Teilen bereits in der Planungsphase eng mit der eigenen Community – dem späteren Publikum – abgestimmt, was diese wiederum auf eine ganz andere Weise einbezieht und an das Kernprodukt bindet. Gleichzeitig verzichtet man bewusst auf eine gescriptete Realität, was ihren Formaten eine ganz andere Form der Authentizität beschert. Das ist deshalb wichtig, weil der Erfolg des Formats am Ende beinahe noch mehr von der Glaubwürdigkeit der Macher und Protagonisten als vom eigentlichen Format abhängt.

Über feste Ausstrahlungstermine der „Rahmenhandlung“ kann „7 vs. wild“ dann das traditionelle lineare TV-Erlebnis anbieten, bei dem sich Freunde, Familie und Community zum gemeinsamen Schauen vor dem aktuellen Stream versammeln. Gleichzeitig schafft es aber auch asynchrone Erlebnisse, wenn die Rahmenhandlung zusätzlich um „Behind-the-scenes“-Episoden und „Reaction“-Videos der Protagonisten sowie verschiedene Formate begleitender, außerhalb des Kernteams agierender Content Creators angereichert wird. Für die Community entsteht so ein umfassendes 360-Grad Erlebnis mit intensiver Bindung sowohl an das Format, an inhaltliche Begleiter sowie das mit dem Format verbundene Product- und Merchandising Sortiment. Und das mit einer Sichtbarkeit, die noch weit über die enormen Abrufzahlen des eigentlichen Kernprodukts hinausreicht.

Der Erfolg von Fritz Meinecke als Content Creator ist kein Einzelfall, obgleich in seinen Ausmaßen sicher auf einem neuen Level unterwegs. Doch auch ohne den emotionalen „Kick“ des ausgesetzten, hilflosen Großstadt-Nomaden funktioniert authentische Content Creation auch in Deutschland inzwischen großartig. Wer Beispiele sucht, mag sich hierfür etwa „Sallys Welt“ anschauen, die auf YouTube mehr als 2 Millionen Abonnenten für homade Backrezepte zu begeistern versteht und deren Unternehmung inzwischen auf mehr als 140 Angestellte angewachsen ist. Oder auf den Gamer und Freizeitfußballer „Eligella“, der einen eher diversifizierten Content-Ansatz sowie ein exzessives Networking zum Aufbau einer millionenschweren Followerschaft nutzt. Hieraus resultieren für ihn dann attraktive Partnerverträge mit Markenherstellern und TV-Kanälen (RTL) sowie eigene Produkte (VitaVate), die sich in puncto Abverkauf in kürzester Zeit an die Spitze ihres Sortimentsbereichs schieben und das Ziel, einen Star wie Christiano Ronaldo als Testimonial für die Marke zu gewinnen, gar nicht einmal mehr so unrealistisch erscheinen zu lassen.

Blickt man auf die genannten drei Beispiele fällt auf, dass alle sehr glaubwürdig für ihr Thema „brennen“ und der spätere Markterfolg sich eher als Folge dieser für den Betrachter deutlich wahrnehmbaren Leidenschaft denn als Produkt einer ausgeklügelten Strategie ergeben hat. Es ist ein eher gewachsener Erfolg, dem bei allen eine Aufbauphase von gut 7 Jahren vorausging und der bei allen Dreien an eine mediale Omnipräsenz geknüpft war. Denn tatsächlich scheint das Modell Content Creation erst auf der Grundlage einer siebenstelligen Anhängerschaft so richtig zu prosperieren. Findige Content Creators pushen ihre Kanäle daher zunehmend über die Beteiligung an Netzwerken mit Gleichgesinnten, um sich innerhalb einer Collaboration gegenseitig voranzubringen.

Es ist davon auszugehen, dass wir in Sachen Content Creation erst am Anfang einer Entwicklung stehen, die unser Medienverhalten komplett auf den Kopf stellen wird. Die Macht der etablierten Platzhirsche wird in sich zusammenfallen und sich pulverisieren, während neue „Player“ einen gigantischen Aufstieg erfahren werden. Vielleicht ein wenig so, wie bei der Ablösung der CD durch professionelle Streaming-Dienste. Bereits heute gibt es einige pfiffige Protagonisten, die ihre innerhalb der klassischen Unterhaltung gewonnene Prominenz clever in neue Formate transferieren. Sei es der vom Fernsehen „ausgebotete“ Frank Elstner in einem noch recht bescheidenen Maße oder der in beiden Medienwelten aktive und telegene Kai Pflaume, der mit seinem YouTube-Format bereits die Marke von einer Million Abonnenten durchbrochen hat.

Friedrich Schillers weitsichtige Prognose: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“ wird sich auch beim Fernsehen bewahrheiten. Beim Format und bei seinen Protagonisten. Eindrucksvoll wurde das erst kürzlich am 19.11.22 in Friedrichshafen zur Schau gestellt, als das ZDF das ganz große Besteck rausholte. „Walking dead“ oder „Wetten dass…?“, wie die Sendung mit deutschem Titel heißt, führte zurück in eine Zeit, in der man keine Rücksicht auf Internet und Smartphones nehmen musste und der Moderator sich gott(schalk)gleich über Publikum und Promi-Couch hinwegsetzen konnte. Diese Zeiten sind Geschichte. Wetten dass?