Begriff FakeNews wird ins Klo gespült

Wie asozial ist Socialmedia?

Begriff FakeNews wird ins Klo gespült

Über die Bedeutung und den immensen Einfluss sozialer Netzwerke zerbrechen sich viele Experten schon lange den Kopf. In Zeiten von Corona und politischem Despotismus erfährt diese Diskussion allerdings noch einmal eine ganz neue Qualität. Grund genug, einmal kritisch darüber nachzudenken, was Socialmedia eigentlich für die Zukunft unseres gemeinsamen Miteinanders bedeutet.

Im Grunde genommen fing alles ja ganz harmlos an. Mit der Verbreitung des öffentlichen Internets entwickelten sich alsbald auch Portale und Angebote, die jedem Nutzer die Möglichkeit boten, sich mit eigenen Inhalten ein Publikum zu erspielen oder mit anderen Nutzern gemeinsam Interessengruppen zu bilden. Eine schlichte, bunte Welt voller Katzenbilder, Mensa-Menüs und Numismatiker. Doch natürlich forderte die kostenlose Bereitstellung dieser Kollaborations-Plattformen sehr schnell ihren Tribut. Nach der sehr schlichten Formel: Nutzer gewinnen – Nutzer binden – Nutzer monetarisieren – Wettbewerber verdrängen, kristallisierten sich schließlich die heute bekannten Keyplayer im Socialmedia-Umfeld heraus. Und formten auf diesem Weg ihre Angebote in der Weise um, dass sie radikal steuernd in die Anzeige der Inhaltsbeiträge für ihre Nutzer (den News-Streams) und mehr noch in die Anzeige von Werbemitteln eingriffen.

Inzwischen dürfte kaum noch jemand der Meinung sein, dass wir frei darüber entscheiden können, was uns auf den von uns genutzten Kanälen präsentiert wird. Tatsächlich haben wir schlicht jede Kontrolle darüber verloren und müssen damit leben, dass Twitter, Facebook und Co. entscheiden, was und wen wir wann zu sehen bekommen. Unternehmerische Interessenlagen, Big Data und die KI herrschen über einen uns zugewiesenen Algorithmus, der sich an Klickraten, Kontaktkreisen und einer Vielzahl unterschiedlicher Performance-Indikatoren orientiert. Und Methoden und Modelle aus der tiefenpsychologischen Trickkiste manipulieren uns mit einem raffinierten Belohnungssystem zusätzlich dahingehend, dass wir suchtähnliche Merkmale entwickeln, die uns förmlich pausenlos an unsere liebgewonnenen Kanäle ketten und darüber Zeit und Raum vergessen lassen. Living in a bubble.

Wer mehr über diese Thematik erfahren möchte, dem sei die Netflix-Doku „Das Dilemma mit den sozialen Medien“ aus dem vergangenen Jahr empfohlen. Übrigens ein Film, der mir von meinem „persönlichen“ Netflix-Algorithmus ans Herz gelegt wurde. Ich selbst hätte ihn wohl nie aktiv beim Streaming-Riesen gesucht…

Doch die eindimensionalen Interessen der Plattform-Anbieter und ihr nicht selten sehr kreativer Umgang mit Nutzerdaten, stellen schon lange nicht mehr das einzige Problem im Umgang mit Socialmedia dar. Tatsächlich sind es inzwischen auch zunehmend die Protagonisten selbst – seien sie nun natürlichen oder auch künstlichen Ursprungs (Bots) – die sich zu einer gesellschaftlichen Herausforderung mit weitreichendem Gefährdungspotenzial entwickeln. Das beginnt im ganz persönlichen Umfeld, wo man sich im schlimmsten Falle Bedrohungen ausgesetzt fühlt, deren Existenz man nicht ansatzweise kommen sieht. So sieht sich das Jugend-Videoportal Tiktok derzeit einer Untersuchung ausgesetzt, welche Rolle es beim Tod eines zehnjährigen, italienischen Mädchens gespielt hat, das infolge einer „Mutprobe“ („Blackout Challenge“) ihr Leben gelassen hat, weil es sich mit einem Gürtel „probehalber“ strangulierte (vgl. NZZ 22.01.2021 – https://www.nzz.ch/panorama/tiktok-maedchen-stirbt-in-italien-bei-mutprobe-ld.1597861). Und es reicht weiter hin zu Entwicklungen, die uns als Gesellschaft bedrohen. Und diese Entwicklungen scheinen erst noch an Fahrt aufzunehmen, wenn man die jüngsten Ereignisse betrachtet. Und schon sind wir mitten im Thema „Politik und Socialmedia“, das noch einmal einer ganz eigenen Betrachtung bedarf.

Der Kurznachrichtendienst Twitter galt vielen Betrachtern lange Zeit als eine Speerspitze im Kampf um die Freiheit und Demokratisierung der Welt. Das führte 2009 gar dazu, dass „die italienische Ausgabe der Zeitschrift Wired das Internet auf die Vorschlagsliste für den Friedensnobelpreis zu hieven versuchte“  (Tina Klopp, DIE ZEIT 31.12.2009). Vorausgegangen waren wochenlange Bürgerproteste im Anschluss an die iranische Präsidentschaftswahl, bei denen sich Twitter als Sprachrohr der Protestanten etablieren konnte und die Nachrichten des Widerstands – an der staatlichen Zensur vorbei – hinaus in den Rest der Welt trug. „Das amerikanische Time-Magazin nannte Twitter gar das Medium der Bewegung. Und einen ‚Webby Award‘ gab es auch für die Twitter-Revolution als einem der Top10 Internet-Momente des vergangenen Jahrzehnts“ (Tina Klopp, DIE ZEIT 31.12.2009). Weitaus geräuschloser agierten die staatlichen Stellen am persischen Golf, bei der gezielten Rückverfolgung der „singenden Vögelchen“ und ihrer anschließenden Festsetzung.

Weniger heroisch als vielmehr pragmatisch und kostengünstig, gestalteten sich die US-Wahlkämpfe von Barack Obama, mit denen er in der politischen Welt nachhaltig Zeichen setzte. „Wahlkampf 2.0 – Obama boomt im Internet“ titelte der Spiegel seinerzeit ergriffen und tief beeindruckt. Und führte anschließend aus: „ Am 11. Februar 2008…zählte Barack Obama in seinem Facebook-Profil 480.868 Unterstützer“ (Frank Patalong, Spiegel 11.02.2008). Eine Entwicklung, die bis heute viele Nachahmer findet, weil sie die Kandidaten viel dichter an die Wählerschichten führt, sehr effizient zu betreiben ist und – blickt man zurück auf die USA – das Tor zu unzähligen Wahlkampfspenden öffnet.

Doch nicht zuletzt, weil sich das Internet auch 2013 für das deutsche politische Establishment noch immer „als Neuland“ erwies, waren es hierzulande nicht die etablierten Parteien, sondern vielmehr die Nischenvertreter an den äußeren Rändern, die dort für Furore sorgten und mit einigem politischen Erfolg belohnt wurden. Ein Fakt, der so richtig erst in den Folgejahren wahrgenommen wurde und in Deutschland maßgeblichen Einfluss auf das bundesweite Stimmungsbild zur so genannten Flüchtlingsdebatte 2015/2016 nahm. So beherrscht die AfD Facebook & Co. nicht nur nur über clevere Clickbaiting-Strategien, sondern auch dadurch, „dass sie ein System von künstlicher Relevanzzuweisung nutzt, um die Zahl von Retweets und Interaktionen hochzupushen, wie netzpolitik.org in einer gemeinsamen Studie mit t-online.de herausfand“ (Markus Reuter, netzpolitik.org 24.06.2019). Der perfekte Rahmen, für die flächendeckende Verbreitung haltloser Behauptungen, erfundener Nachrichten und gefährlicher Diffamierungen.

Und ein Modell, das inzwischen bei all jenen fest in die Toolbox gehört, die in großem Maßstab Einfluss auf das Weltgeschehen nehmen wollen. Auch hier setzte eine Wahl noch einmal ganz neue Maßstäbe. Genau genommen, war es die von Donald Trump im Jahre 2016. In der Rückschau mögen uns da russische Bots einfallen, die ihrerseits Einfluss auf das Wahlergebnis genommen haben könnten, tatsächlich einschneidender war aber wohl ein anderer Schachzug. So organisierte Schwiegersohn Jared Kushner – mit Unterstützung von Cambridge Analytica und einer Reihe von Experten aus dem Silicon Valley – einen digitalen Wahlkampf bis dato unbekannten Ausmaßes. „Die Kushner-Truppe nutzte drei maßgebliche Ebenen der digitalen Vermarktung: das gewaltige Datenwissen über die Online-Nutzer des Landes, einen psychologischen Filter zur Kategorisierung der Einstellungen einzelner Wähler und die modernen Distributionstechnologien für zielgerichtete Werbung im Internet. All das mit höchster Intensität und einem überragenden Ziel: die Adressaten mit Hilfe von Facebook emotionaler zu berühren als mit traditionellen Massenkampagnen im Internet und Fernsehen“ (Mathias Müller von Blumencron, FAZ 05.12.2016). Die unterstützenden Damen und Herren der Wissenschaft bedienten sich für das Datensammeln auf Facebook & Co. dabei offenbar u.a. eines sehr einfachen Tricks. „Sie hatten auf Facebook massenhaft die bei vielen Online-Nutzern beliebten Persönlichkeitstests ausgespielt. Viele hunderttausend Nutzer machten mit und hinterließen so ein detailliertes psychologisches Profil…Die Nutzer wurden darüber hinaus kategorisiert nach den so genannten fünf Ocean-Faktoren, also emotionale Labilität, Begeisterungsfähigkeit, Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit“ (Mathias Müller von Blumencron, FAZ 05.12.2016). Beeindruckende Matching-Technologien, die sich – ganz unabhängig von Interessenlagen und politischen Gesinnungen – auf dem Markt ganz bequem käuflich erwerben lassen.

Mit der öffentlich hinlänglich diskutierten Regentschaft Trumps in den zurückliegenden vier Jahren, hat sich das Problem heute in eine Richtung weiterentwickelt, die man – ohne groß zu übertreiben – inzwischen als staatsgefährdend bezeichnen muss. Denn niemals zuvor hat es in einer Demokratie der westlichen Welt wohl einen vergleichbaren Fall gegeben, bei dem die gezielte Desinformation und Manipulation der öffentlichen Meinung unmittelbar von der Regierungsgewalt ausgegangen wäre. Und in der ein persönlicher Socialmedia-Kanal zum zentralen und wichtigsten Kommunikations-Organ eines Staatschefs mutierte und am Ende bis zu 88 Millionen Follower anlockte. Als eine mittelbare Folge dieses Vorgehens bekamen wir es hierzulande – massiv durch die sozialen Medien gefördert – mit den Auswüchsen von Verschwörungstheoretikern, Corona-Leugnern, Reichsbürgern und Wutbürgern zu tun. Und das Ganze nicht nur als anonyme Ansammlung im Netz, sondern vielmehr garniert und begleitet von dutzenden, offenen Protesten und Demonstrationen entlang der staatlich verordneten und pandemiebedingten Restriktionen.

Vor diesem Hintergrund mag man sich kurzzeitig freuen, wenn Twitter auf der Zielgeraden der Regentschaft Trumps dessen Account löscht und marktbeherrschende Techplayer wie Apple und Google einen möglichen Alternativdienst wie „Parler“ ad hoc aus ihren App-Stores verbannen. Es zeigt aber gleichzeitig auch, über wie viel Macht und Einfluss diese Player heute verfügen. Und wie frei sie darin sind, diesen Umstand für sich oder andere zu nutzen.

Wir können die Existenz moderner Technologien oder erfolgreicher Socialmedia-Angebote nicht leugnen und ihre Potenziale und Vorzüge nicht leugnen. Aber wir sollten ihnen vielleicht mit sehr viel mehr Misstrauen begegnen und ihre Handlungen immer wieder kritisch hinterfragen. Denn für blindes Vertrauen gibt es keinen Anlass, wie auch Besteller-Autor Patrick Deneen in einem Zeit-Interview vom 22.01.2021 herausstellt: „Und dann gibt es noch die neuen Technologien, die uns eine neue Form der Freiheit bringen sollen. Aber sie werden zunehmend als überwältigende Mächte wahrgenommen, die unser Leben kontrollieren, als Kräfte, die wir nicht mehr beherrschen können.“

Wie weiland Dr. Heinrich Faust haben die modernen Daten-Moguln auf der Jagd nach universaler Erkenntnis und schnödem Mammon längst ihre Seelen feilgeboten. Und Figuren wie Marc Zuckerberg personifizieren dabei geradezu das Übel dieser Thematik. So sehr, dass sich selbst Menschen wie Apple-Chef Tim Cook inzwischen so ihre Gedanken machen: „Wenn wir es als normal akzeptieren, dass alles in unserem Leben gesammelt und verkauft werden kann, dann verlieren wir mehr als unsere Daten. Wir verlieren die Freiheit, ein Mensch zu sein.“ Und an die Adresse der hierfür Verantwortlichen gerichtet: „Wenn ein Unternehmen auf der Irreführung von Nutzern, auf der Ausbeutung von Daten, auf Wahlmöglichkeiten, die gar keine Wahlmöglichkeiten sind, aufgebaut ist, dann verdient es nicht unser Lob. Es verdient unsere Verachtung“ (Zitat gefunden bei: Dieter Petereit, t3n 29.01.2021). Wir lassen das einfach einmal so stehen.