A Pig with lipstick – Wenn Berater zu Agenturen werden

Design Thinking – A pig with lipstick...

A Pig with lipstick – Wenn Berater zu Agenturen werden

Die Zeiten, in denen Agenturen unangefochten das Thema Kommunikation bei ihren Klienten vertreten haben, sind mittlerweile Geschichte. Mit viel Geld, großem Einsatz und neuen, „bunten“ Konzepten sind vor einigen Jahren galaktische Beratungshäuser aufgebrochen, auch diesen Acker zu bestellen, der ihrer natürlichen DNA eigentlich komplett zuwider läuft. Und Agenturen damit gleichzeitig perspektivisch überflüssig zu machen. Oder etwa doch nicht? Eine mögliche Sichtweise.

Die Argumentationskette der Multiplex-Berater erscheint hier überzeugend einfach und verfängt im menschlichen Drang nach Bequemlichkeit sowie dem Wunsch komplexere Themen möglichst komfortabel abzukürzen. Frei nach dem Prinzip „one size fits all“ rollen die Strategie-Kollosse ihre Bauchläden aus und machen das Thema Marketing und Kommunikation „noch gleich eben mit“… Schließlich haben sie in den Häusern zuvor ja auch mit beträchtlichem Aufwand erst die Entscheidung zur Einführung eines CRM „herbeiquatschen“ und anschließend dessen technische Implementierung für ein mittleres, zweistelliges Millionenbudget auch beinahe erfolgreich abschließen können. Das sollte dann doch quasi per se auch für alles andere qualifizieren. Oder etwa nicht?

Tatsächlich ist diese Rechnung allerdings lange Zeit nicht so einfach aufgegangen wie gewünscht, weil man den hochdekorierten Beratern gerade eben diese, weitgehend vom vorhandenen Kreativpotential geprägte Kompetenz schlichtweg nicht abkaufte. Vermutlich hielt man es vielerorts sogar für wahrscheinlicher, dass der kreative Geist die Mauern von Guantanamo Bay überwinden als dass er den Klauen vielschichtiger Prozessketten und narkotisierender Regularien imperialistischer Strategieklötze entweichen könne.

Doch bekanntermaßen ist es die Anpassungsfähigkeit, die in dem „Survival of the fittest“ Darwin’scher Prägung den Fortbestand und das Wachstum einer Spezies sichert. Also sind die Beratungskonzerne losgezogen und haben sich umgeschaut, wie sie diesen deutlichen Zweifeln an ihrer Gestaltungsfähigkeit wirkungsvoll begegnen könnten. Dabei sind sie auf eine Methodik gestoßen, dessen Systematik in die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts und deren Ursprung sogar auf das deutsche Bauhaus in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts zurückreicht. Die Rede ist vom „Design Thinking“, das seinen wissenschaftlichen Ursprung der renommierten Stanford University und seine sektenartige Verbreitung in Wirtschaft und Wissenschaft dem millionenschweren Engagement des SAP Gründers Hasso Plattner verdankt.

Vereinfacht beschreibt dieses Modell einen interdisziplinären Ansatz, bei dem sich Vertreter unterschiedlichster Fakultäten in Gruppen zusammenschließen und auf der Basis von Kreationsmethoden Lösungsansätze für unterschiedliche Themenstellungen entwickeln. Die Vielfalt der kooperierenden Potentiale sowie die Bereitschaft zu unorthodoxen Lösungswegen machen den großen Charme dieser Methodik aus. Und tatsächlich dürften nicht wenige der neuen Big Player aus dem Silicon Valley bei der Entwicklung ihrer Geschäftsmodelle auf einen derartigen Ansatz zurückgegriffen haben.

Diesem sinnfälligen Zusammenhang ist es dann vermutlich auch zu verdanken, dass das Thema – vor allem im Kontext hingebungsvoll gepflegter Berater-Buzzwords wie z.B. „Digital Transformation“, „Industrie 4.0“ oder „IoT“ – Eingang in die Strategiepapiere der Consultingriesen gefunden hat und den Klienten auch ein Vierteljahrhundert nach der Geburt noch als der „neue, heiße Scheiss“ verkauft werden konnte. Die bestmögliche Wertschöpfung des „Design Thinking“-Modells erfahren dabei aber wohl in erster Linie die Consulting-Konzerne selbst.

Aber natürlich ist es nicht allein die Verwendung des Begriffs „Design“ innerhalb einer Methode, die den Beratungstempel zu einer Kreativbude werden lässt. So naiv sind nicht einmal die Berater selbst. Zur Sicherheit hat man sich deshalb gleich noch einige Werkzeuge aus dem Designbaukasten der Gestalter „entliehen“, um den geneigten Klienten kostenpflichtig in die Erlebniswelt „Kreativworkshop“ einzuladen. Dort empfängt er dann – tagesfüllend aufbereitet und wortreich in Powerpoint dokumentiert – die hohen Weihen vom Baum der Berater-Erkenntnis serviert. Auf der Karte stehen internationale Klassiker wie „User Experience“, „Touchpoints“, „Persona Building“ oder auch „Customer Journey“. Schlichte Hausmannskost im hochgejazzten Gewand einer Sterne-Kreation. Und getragen von der festen Überzeugung der Küchenchefs, dass man diese im Stile einer McBurger Systemgastronomie auf gleiche Weise in der ganzen Welt anzubieten vermag.

Aus Erfahrung spricht nicht besonders viel dafür, das es ausreichen könnte, mit einigen, erlernten Handgriffen und einer kleinen, stibitzten Rezeptsammlung zwangsläufig zum gefeierten Sternekoch aufzusteigen. Und ebenso wenig spricht dafür, dass ein technisch-strategischer Berater bedenkenlos die Rolle eines kreativ-gebildeten Art Directors ausfüllen könnte, ohne dass es sich am Ende nicht irgendwie auch auf das Ergebnis auswirken würde. Denn das, was die rechte Hirnhälfte in beiden Beispielen zum Resultat beisteuert, lässt sich in keiner Anleitung finden und auch nicht methodisch erlernen.

Eine Erkenntnis, die natürlich auch den vorwiegend rational getriebenen Beratungskonzernen grundsätzlich nicht verborgen geblieben ist. In Folge dessen kauften und kaufen sie kreatives Potential in Gestalt kompletter Agenturen einfach dazu. Geld und Umfang der Deals spielen dabei kaum eine Rolle. Es geht schließlich um Größeres. Und dennoch gelingt der Transfer des wertvollen Potentials in der Praxis eher selten bis gar nicht. Woran mag das liegen? Vielleicht einfach daran, das ein Bär und eine Ameise zusammen eben mitnichten zu einem Ameisenbären mutieren?

Beratungskonzerne sind von Hause aus auf maximale Effizienz getrimmt. Das allein bestimmt ihr Handeln und schließt individuelle Lösungen – wie sie die Arbeit einer Kommunikationsagentur prägen – im Grunde genommen aus. Ihr Interesse gilt allein Lösungsansätzen, die man nur einmal entwickeln und anschließend weltweit adaptieren und ausrollen kann. Das muss auch nicht weiter verwundern, weil man damit sowohl in der strategischen Beratung als auch in der Software-Entwicklung bestbezahlte Erfahrungen gesammelt hat. Aus Sicht eines Beratungskonzerns gibt es kaum vernünftige Gründe, warum sich eine Software einem Unternehmen anpassen sollte, solange eine realistische Chance besteht, dass es auch anders herum funktionieren könnte. Und genauso packt man folgerichtig auch das Thema Marketing und Kommunikation an. Die Bedeutung der Agenturleistung schrumpft in der Darstellung durch die hauseigenen Auguren auf das Maß einer winzigen Content-Mikrobe, während die Segnungen von KI, Automatisierung und Bigdata dem geneigten Klienten Glück, Wohlstand und eine eindrucksvolle Markenexistenz verheißen.

Es gibt Klienten, die diesem Zauber gerne und bereitwillig verfangen. Die willens und dazu in der Lage sind, die Reparatur eines Segelschulschiffs für zehn Millionen Euro zu beauftragen und anschließend einfach das Beste zu hoffen. Die sich von Top-Beratern Top-Down aus der Helikopter-Perspektive beschreiben lassen, wie sie automatisiert an der „Kundenerlebniskette“ feilen müssen, damit ihre Kommunikation – unter den sich laufend verändernden Anforderungen – nicht vollends in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Und die sich beinahe blind auf das Wort des Experten verlassen müssen, weil sie den eigenen Markenkern schon längst nicht mehr durchdringen und auch der Digitalisierung weitgehend nackt und wehrlos gegenüber stehen.

Mehr Hoffnung besteht für die Klienten, deren Umsatzzahlen sich noch unterhalb einer halben Milliarde Euro bewegen, weil sie sich damit vermutlich außerhalb des Berater-Radars der internationalen Consulting-Multis bewegen. Eine internationale Erfolgsstrategie muss man sich schließlich auch leisten können. Denn selbst wenn einem Klienten hunderttausende Mietautos für die Anreise zur Verfügung stehen, gelangt er damit am Ende nicht auch zwangsläufig (und schon gar nicht „in time and budget“) zu einer eigenen Website. Vielleicht wird er sich in einem neuen Anlauf nunmehr vertrauensvoll an einen Partner wenden, der sich mit diesem Thema wirklich auskennt. Eine coole Digitalagentur beispielsweise.