CSR – Wenn „Wokeness“ zu Haltungsschäden führt

Jeder hat das Recht auf eine Meinung. Und zunehmend die Pflicht, diese – mindestens auf Nachfrage – auch klar und für alle erkennbar zu äußern. Das gilt für Menschen, wie für Unternehmen. Problematisch wird es dann, wenn Meinungen oder Haltungen ins Fadenkreuz der „Wachsamen“ geraten und dabei als problematisch betrachtet werden.

Unternehmen droht diese Gefahr insbesondere dort, wo es um Fragen und Themen im Kontext sozialer und ökologischer Verantwortung geht. Um hier wirkungsvoll möglichen Anfeindungen oder mindestens kritischen Nachfragen zu entgehen, gilt es „klare Kante“ bei wechselnden Trendthemen wie #blacklivesmatter, #diversity, #savetheplanet oder #standwithukraine zu zeigen und dabei auch für eine entsprechende Sichtbarkeit der eingenommenen Haltung zu sorgen.

Um solchen Aspekten unternehmerischer Kommunikation im Sinne eigener Leitbilder oder auch öffentlicher Forderungen professionell begegnen zu können, wurde im Bereich der Corporate Communication Units bereits vor längerer Zeit das Feld der Corporate Social Responsability, kurz CSR aufgemacht.

Im Wirtschaftslexikon des Gabler-Verlags finden wir sowohl einen Definitionsversuch von Corporate Social Responsability als auch einen Deutungsversuch. CSR wird hier als „Schlüsselbegriff der Unternehmensethik, welcher die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen aufspannt“ definiert. Weiter heißt es: „CSR basiert auf der Idee, dass Unternehmen positive Effekte für Gesellschaft und Stakeholder maximieren und negative minimieren. Einen wichtigen Orientierungspunkt für die Ausgestaltung von CSR bildet das Leitbild der Nachhaltigkeit. Entsprechend hat CSR eine ökologische, ökonomische und soziale Dimension…“ Gabler reibt sich aber in diesem Zusammenhang an dem oft mitschwingenden Postulat der Freiwilligkeit, weil gesetzliche Grundlagen und Regelungen in der Praxis nicht selten einer unternehmerischen Verpflichtung zum Handeln nach CSR-Maßstäben gleichkommen. Einfach ausgedrückt: Halte Dich an die Gesetze und verkaufe es der Öffentlichkeit als soziales Engagement.

220328_Illustration_Blogartikel_TrennerVielleicht ist es aber gerade auch eine solche Kommunikationsstrategie, die zu einem guten Teil dafür gesorgt hat, dass wir als Gesellschaft den PR-Verlautbarungen von Unternehmen zunehmend skeptisch gegenüberstehen und sie regelmäßig kritisch hinterfragen. Die Öffentlichkeit fordert für ihr Urteil nicht nur flammende Plädoyers, sondern auch plausible Beweise. Also quasi die Umkehr eines bekannten Sinnspruchs: Rede nicht nur darüber, sondern tue Gutes.

Was in diesem Verständnis aber als „gut“ wahrgenommen wird, scheint zunehmend eine Frage der Herkunft, Bildung, Überzeugung und insbesondere auch des Alters zu sein. Die Deutungshoheit obliegt dabei oft denen, die im Kampf um Hashtags und den Zulauf in den – kurioserweise immer noch so genannten – sozialen Medien die Nase vorn haben. Und so geht den Unternehmen zunehmend der Kompass verloren, an dem sie ihr ökonomisches, ökologisches und soziales Handeln ausrichten können, weil die Ziele, Maßstäbe und Grundlagen der Betrachtung einem permanenten Veränderungsprozess unterliegen. Und weil sie Konsequenzen fürchten, da die Torwächter der Wachsamkeit (engl. wokeness) bei Fragen zur Haltung in der Regel weniger am Meinungsaustausch als vielmehr an einer Form der Ächtung interessiert sind. Wohl nicht zufällig hat der You-Tuber Rezo seinen Beitrag zur Europawahl 2019 mit „Die Zerstörung der CDU“ betitelt. Und damit erfolgreich einen bedeutenden Meilenstein eines neuen – vornehmlich online zu beobachtenden – Phänomens gesetzt: Der „Cancel-Culture“.

Ganz unabhängig von ihrer möglichen Rechtmäßigkeit, Plausibilität oder Motivation im Einzelfall, sind die Folgen dieser besonderen Form der Einflussnahme für Unternehmen, wie auch uns als Gesellschaft insgesamt, heute noch gar nicht absehbar. Denn die Cancel-Culture bedroht nicht nur die Meinungsvielfalt, sie versucht – mit den Mitteln der Drohung und Bestrafung – aus einer Außensicht heraus auch aktiv Einfluss auf das Verhalten von Unternehmen und Menschen zu nehmen.

So sieht sich der erfolgreiche schwedische Hersteller veganer Milchalternativen „Oatly“ mit dem Einschlagen seines Expansionskurses nicht nur deutlicher Kritik, sondern sogar konkreten Kaufboykotten durch die frühe Stammkundschaft ausgesetzt, weil an der Börse ein „böser Investor“ nennenswerte Aktienanteile erworben hat.

Bei Toniebox, einem  Player- und Hörspielanbieter für Kinder, wollen sie sich diesem Risiko gar nicht erst aussetzen und „säubern“ ihr Angebot präventiv von Wörtern und Liedern mit potenziell ehrverletzendem oder rassistischem Duktus , um „gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen“ (vgl. hierzu: Interview Markus Langer, DieZeit, 15.03.22). Vielleicht hat man hier ja auch kurz einen Gedanken an den profilierten Wissenschaftsjournalisten Donald McNeill verschwendet, der – nach Gebrauch des N-Wortes innerhalb eines Zitats im Rahmen einer Studienreise 2019 – seinen Job bei der New York Times nach 45 Jahren an den sprichwörtlichen Nagel hängen musste. Oder vielleicht auch an den WDR, dessen erkennbar satirische Aufführung eines Kinderchors mit dem Lied „Meine Oma ist ne alte Umweltsau“ nach einem Shitstorm auf Twitter zu einer Distanzierung des Senders von dem Beitrag durch seinen Chef Tom Buhrow führte.

Auch im aktuellen Krieg in der Ukraine spielt die Kommunikation eine entscheidende Rolle und wir empören uns als deutsche Gesellschaft sicher sehr zurecht an den Prinzipien und Taten zur Meinungsunterdrückung und Desinformation auf russischer Seite, die wir als staatlich aufoktroyierte Cancel-Culture begreifen. Gleichwohl erlauben wir uns pro ukrainisch geäußerte Haltungsbekenntnisse von Unternehmen wie Edeka („Frieden ist ein Lebensmittel“) auf bloßen Verdacht hin zu relativieren und in die Ecke kalkulierten Marketings zu rücken, um sie sogleich mit einem Shitstorm zu überziehen. Oder wir verpflichten Menschen in einem Akt reiner Willkür dazu, öffentlich durch Worte oder Taten vom Kriegsaggressor Putin abzurücken, um sie andernfalls mit persönlichen Maßnahmen zu drangsalieren, wie im Falle des russischen Dirigenten Valery Gergiev (Münchener Philamoniker) oder des Assistenztrainers und Ex-Fußballers Anatolij Tymoschtschuk aus der Ukraine geschehen.

Es ist gut und richtig, wenn Unternehmen mit ihrem Denken und Handeln dazu beitragen, dass wir als Gesellschaft Antworten auf brennende ökologische und soziale Fragen entwickeln und nicht nur den Prämissen des ökonomischen Wachstums nachjagen. Hierfür sollten sie klare Vorstellungen entwickeln und auch entschlossen eintreten. Genauso gut und richtig ist es, Unternehmen in dieser Hinsicht beim Wort zu nehmen und ihr Handeln kritisch zu prüfen. Kunden und Mitarbeiter sind hierfür zweifellos prädestiniert. Wir sollten uns allerdings auch stets der enormen Verantwortung bewusst sein, die mit dieser Aufgabe einher geht und deshalb keine aus der Intuition getriebenen und motivierten „Hexenjagden“ veranstalten. 

Freiheit heißt am Ende auch, dass man gegensätzliche Meinungen und Überzeugungen zu ertragen lernt und keine ethisch-moralische Deutungshoheit für sich beansprucht. Nichts ist schlimmer, als wenn gute und wichtige Anliegen durch eine übertriebene oder übersensibilisierte „Wachsamkeit“ zerrieben werden oder aus Sorge um mögliche Konsequenzen gar nicht erst auf den Weg gelangen. Ganz in diesem Sinne vermag ich mich auch weiterhin für die „Fridays For Future“ Bewegung zu begeistern, auch wenn der unsägliche Dreadlock-Fauxpas um die Künstlerin Ronja Maltzahn anderes nahelegen könnte. Diese wiederum hat extrem beeindruckend auf den Vorfall reagiert und etwas gezeigt, dass stets über aller kritischen Auseinandersetzung stehen sollte: Haltung.

 

Hinweis: Die Digitalagentur ORÖ ist auf Markenführung und Kommunikation spezialisiert. Sollten Sie Fragen in diesem Themenbereich haben, freuen wir uns über Ihren Kontakt.